Verdankung des GRA-Medienpreises, 10.11.2014.
Von Ulrich E. Gut, Präsident des Vereins “Unser Recht”.
Liebe Herren Präsidenten Ronnie Bernheim und Markus Notter
Lieber Herr Marcus Pfister, Herr Jürg Acklin, Herr Karl Rühmann
Geschätzte Damen und Herren
Sie zeichnen mich als Präsidenten des Vereins „Unser Recht“ aus, und zwar mit dem Medienpreis, weil wir die gemeinsamen Ziele, die uns mit Ihnen verbinden, mit elektronischen und sozialen Medien verfolgen. Ich danke Ihnen herzlich dafür, und ich darf das sicher auch in Namen der anwesenden Vorstandsmitglieder von „Unser Recht“, Mirko Roš und Thomas Vogel, und der anwesenden Gründungsmitglieder unseres Vereins tun.
Zeitgemässe Kommunikationsmittel sollen Botschaften von heute und morgen transportieren. Heute und morgen müssen wir Wirkung erzielen. Was meine ich damit?
Die meisten von uns wurden zur Rassismusbekämpfung motiviert durch das Wissen um die Shoah, um die Gesamtheit der rassistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, besonders durch das Wissen um die Judenverfolgungen über Jahrtausende hinweg. Aber wie wirksam bleiben vergangene Ereignisse heute und morgen?
Die Frage stellt sich nicht nur für die Rassismusbekämpfung. Sie stellt sich zum Beispiel auch für die Europapolitik. Das Argument, die Europäische Union sei ein Friedenswerk, habe seine Wirkung eingebüsst, mahnte Moritz Leuenberger 2012 am 20-Jahr-Jubiläum des Zürcher Europa-Instituts. Auch wer für die europäische Integration eintritt, braucht Argumente für unsere Zeit.
Es ist mir wichtig, ganz klar zu betonen: Die Pflege des Geschichtsbewusstseins ist und bleibt eine wichtige Teilstrategie der Rassismusbekämpfung, wie auch der Europapolitik. Ich habe deshalb im Februar 2013 im Facebook eine Themenseite „Das Zwanzigste“ eröffnet. Ihr Programm heisst: „Das 20. Jahrhundert: Zeitzeugnisse, Texte, Reflexionen.“ Hier wird auch auf Artikel, Online-Publikationen und Sendungen hingewiesen, die das Bewusstsein wach halten wollen, woher wir kommen und was keinesfalls mehr passieren darf.
Aber symptomatisch ist auch, dass die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten dieser Seite viel langsamer wächst als diejenige von „Unser Recht“, der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik oder gar des Forums Aussenpolitik (foraus) und der Operation Libero.
Historische Bezugnahmen können in ein tiefes Dilemma führen. Dies erleben wir soeben mit den Reaktionen auf Äusserungen, der schweizerische Rechtspopulismus erinnere an die Propaganda der Nazis und Faschisten. Ich habe grosses Verständnis dafür, dass man diesen Eindruck haben kann, stelle aber fest, wie negativ die Resonanz auf diese Vergleiche ausfällt, auch bei Leuten, die selber nicht im Verdacht einer rechtsextremen Gesinnung stehen. Das ist zum Teil Verharmlosung, zum Teil aber eine nachvollziehbare Hemmung, das unvergleichlich Schreckliche zum Vergleich beizuziehen.
Ich erinnere mich, dass schon vor Jahrzehnten diskutiert wurde, wie der Tod des oder der letzten Holocaust-Überlebenden den Diskurs über den Holocaust verändern würde. Die Angst war verbreitet, dies werde der Holocaust-Leugnung Vorschub leisten. Ich halte dies für offen, neige aber zur Annahme, die Holocaust-Leugnung sei angesichts der historischen Erkenntnisse und Quellenlage so absurd, dass sie vom Wegtreten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nicht profitieren wird.
Wenn die Wirkung der historischen Argumentation beschränkt ist – was kann dann die Strategie sein?
Die Strategiebildung beginnt mit einer Analyse der Akteure und des Zielpublikums. Zum althergebrachten europäischen Rassismus und Antisemitismus kommt, wie wir wissen, ein neues Potenzial bei Immigranten. Sie haben ganz andere Interessen als den Rassismus und Antirassismus Europas aus dem Zwanzigsten Jahrhundert: Zunächst ihre soziale und ideelle Selbstbehauptung, ihr Selbstwertanspruch, ihre zum Teil begründete Wahrnehmung, selber Opfer von Diskriminierung und Rassismus zu sein. Dazu kann das Bedürfnis kommen, sich mit Glaubensbrüdern und -schwestern und politisch Gleichgesinnten in Konflikten im Nahen Osten zu solidarisieren, bis hin zur bewaffneten Unterstützung, sei es im Kampfgebiet, sei durch Anschläge im europäischen Gastland.
Mir würde eine Strategie aus folgenden sieben Komponenten einleuchten:
1. Die unerlässliche Absicherung jeder konstruktiven, integrativen, erzieherischen Politik: Die repressive Komponente der Strategie: Rassismus darf sein Haupt nicht mehr erheben. Die Schweiz darf auf keinen Fall zu einer Insel der Straflosigkeit für Rassendiskriminierung und Holocaust-Leugnung werden. Junge Menschen, junge Immigranten, aber auch Anfällige jeden Alters, dürfen nicht den Eindruck bekommen, die leiseste Chance für den Aufbau einer rassistischen Kraft zu haben. Geben wir dem SVP-Vorstoss zur Abschaffung der Strafnorm gegen Rassendiskriminierung keine Chance. Und schon unter dem geltenden Recht gibt es mehr zu tun (Stichwort: Verbale Gewalt in den sozialen Medien). Wir wollen uns wehren als Gemeinschaft, im Sinne Dr. Acklins, der uns vor Augen führte, was bedrohende Ausgrenzung für das Opfer bedeutet: Wir wollen uns wehren für exponierte Individuen und Gruppen. Ihnen den Schutz zu verweigern, ist Feigheit – und das ist eigentlich nicht die Kerntugend, die diejenigen für sich beanspruchen, die nun für Straffreiheit eintreten.
2. Erziehung und Bildung. Erziehen und bilden wir die Jugend zu Menschen, die aus tiefer Überzeugung für die Gleichberechtigung aller Ethnien und Religionsgemeinschaften eintreten und bereit sind, dafür zu kämpfen. Vermitteln wir ihnen nicht nur Wissen aus Einweg-Unterricht und Büchern, sondern aus Erlebnissen und authentischen Einsichten in die Realität des Lebens als Minderheit und in die Realität der Verfolgung.
3. Integration. Erweisen wir den Immigrantinnen und Immigranten und den Ethnien und Religionsgemeinschaften, denen sie angehören, Respekt. Kümmern wir uns um ihre soziale Lage. Schaffen wir Kontaktplattformen mit ihnen. Sorgen wir für ihren Zugang zu einer Bildung, die sie auch mit der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts vertraut macht und ihnen so ermöglicht, die unbedingte Absage an Rassismus und Antisemitismus zu verstehen, die sich daraus ergibt. Marcus Pfister sagte, glückliche Menschen seien bessere Menschen. Schauen wir also dazu, dass die Immigranten bei uns möglichst nicht unglücklich sein müssen – wenn möglich sogar glück sein können. – Setzen wir sodann aber die Integrationsanforderungen durch, auf die es am meisten ankommt, damit sich unsere Gesellschaft nicht in einer Richtung verändert, die wir nicht wollen: Setzen wir die Integrationsanforderungen des Kennens und Achtens der Grundwerte unserer Gesellschaft durch, und somit die aufrichtige Absage an Rassendiskriminierung und Antisemitismus. Das ist viel wichtiger als die Kenntnis einiger Daten aus der Geschichte der Alten Eidgenossenschaft.
4. Internationale Beziehungen: Treten wir ein für die Erhaltung der guten Beziehungen, die seit Jahrzehnten zwischen der Schweiz und etlichen wichtigen Ländern der islamischen Welt bestehen. Bewegen wir uns in der Friedenspolitik, aber mit grösster Sorgfalt und Fairness. Es ist wohl berechtigt, die Geneva Initiative von 2003 als Beispiel zu nennen – auch wenn die Entwicklung über sie hinwegging. Vermitteln wir den muslimischen Immigranten und Immigrantinnen nicht den falschen Eindruck, die Schweiz sei Teil einer anti-islamischen Internationalen.
5. Minderheitensolidarität: Seit Jahrzehnten und noch heute beeindruckt mich, wie in der Schweiz aus jüdischen Kreisen Gerechtigkeit und Anerkennung für Muslime gefordert wurde. Ich erlebte das in den neunziger Jahren beim Einsatz von Sigi Feigel und anderen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern für die bosnischen Flüchtlingsjugendlichen hier in Zürich, insbesondere für ihren Ausbildungsabschluss vor der Rückkehr nach Bosnien. Neu bestätigt wurde diese Minderheiten-Solidarität durch den Aufruf gegen Gewalt und für Frieden vom 5. September 2014, gemeinsam erlassen durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) sowie die Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (FIDS) und die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS). Gemeinsamer Einsatz verschiedener Minderheiten gegen Diskriminierung und für ihre Interessen kann entscheidend zum Erfolg beitragen.
6. Menschenrechte: Verstehen wir die Rassismusbekämpfung als Teil einer Gesamtpolitik für die Menschenrechte. Mobilisieren wir die Basis unserer Organisationen gegen die Bestrebungen, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Urteile des gemeinsamen Gerichtshofs in Strassburg nur noch teilweise oder überhaupt nicht mehr umsetzen und die EMRK schliesslich kündigen solle. Der Weg nach Strassburg muss ganz besonders für die Minderheiten in der Schweiz und ihre Angehörigen offen bleiben.
7. Rechenschaft: Ziehen wir die Verantwortlichen ins Gespräch – und, wenn nötig, zur Rechenschaft. Meine Damen und Herren, Sie sind Wählerinnen und Wähler. Ihre Stimmkraft ist gefragt. Die Politikerinnen und Politiker denken wohl nicht immer daran. Ins Gespräch und zur Rechenschaft zu ziehen sind aber auch Verantwortliche für Medien. Hierzu dienen Massstäbe: Gern begrüsse ich deshalb unter uns Claudia Schoch, die als NZZ-Redaktorin Massstäbe setzte mit ihrer Publizistik über Rechtsstaats- und Völkerrechtsfragen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, werde ich mich weiterhin für unsere gemeinsamen Ziele einsetzen. Ich danke Ihnen nochmals herzlich für den Preis, den ich heute entgegennehmen darf. Ich habe die GRA-Stiftung gebeten, die Preissumme dem Verein „Unser Recht“ zukommen zu lassen.
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